Den klaren Wortlaut des § 51 Abs. III S. 1 OWiG („Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet“) haben schon diverse Gerichte mit den abenteuerlichsten Argumenten bis an den Rand der Rechtsbeugung ignoriert, um die Verjährung einer Ordnungswidrigkeit zu verhindern.
Bemerkenswert auch der Eiertanz, den das KG in seinem Beschluss 3 Ws (B) 217/16 -162 Ss 55/16 vom 17.o6.2016 vollführt. Zunächst fängt es noch ganz gut an:
a) Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung in dieser Sache nur eine sog. Blankovollmacht, die u.a. den bevollmächtigten Rechtsanwalt nicht erkennen lässt, bei den Akten befand. Nach Auffassung der Verteidigung erfülle eine solche Vollmacht die Anforderungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht. …
aa) Der Verteidigung ist nur insoweit zustimmen, als dass es fraglich erscheint, ob die Wirkung des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG – die gesetzliche Fiktion einer Zustellungsmacht – bei Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger auch dann eintreten kann, wenn sich entgegen dem Gesetzeswortlaut vor Zustellung eine dem Verteidiger durch den Betroffenen eindeutig erteilte Vollmacht nicht in der Akte befindet.
Man beachte: „… entgegen dem Gesetzeswortlaut“. Mit dieser Ausgangsthese ist die Antwort eigentlich schon klar: Entgegen dem Gesetzeswortlaut geht GAR NICHTS! Dann aber fängt der Eiertanz an:
„In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass eine wirksame Zustellung nicht nur aufgrund einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht, sondern auch aufgrund einer rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erfolgen kann.“
Ja, leider nehmen es die genannten Gerichte (u.a.) mit dem Gesetzeswortlaut eben nicht so genau. Und weiter:
Ob eine solche rechtsgeschäftliche Vollmacht vorlag, … ist im Einzelfall aus der Gesamtheit der erkennbaren Umstände sowie dem Auftreten des Rechtsanwaltes im Verfahren zu schließen. … Dabei kommt es nur darauf an, ob die Vollmacht tatsächlich zum Zeitpunkt der Zustellung bestand, das heißt, ob sie vom Vollmachtsgeber tatsächlich erteilt worden ist.
Und so ist der finale Rettungsschuss unausweichlich:
cc) Aus den aus den Akten ersichtlichen Gesamtumständen ergibt sich, dass der Betroffene Rechtsanwalt X am 3. Juli 2014 in dieser Sache eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt hatte.
Aha: Streiche „Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet“ und setze „aus den Akten ersichtliche Gesamtumstände.“ So geht das also!
„Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BverfGE 118, 212 )“, so Beschluss des BVerfG 1 BvR 918/10BVerfG 1 BvR 918/10 vom 25.o1.2011.
Zur Ehrenrettung des KG muss allerdings gesagt werden, dass der Kollege „X“ als Verteidiger neben umfangreichen Aktivitäten (äußerst ungeschickt) mit sogar zwei Vollmachtsurkunden herumhantiert hatte, wenn auch ausgestellt auf „Rechtsanwälte X+Y“ – was generell nicht ausreicht.
Lustig auch, dass das KG offensichtlich demselben Kollegen „X“ schon einmal etwas zur sog. „rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht“ ins Stammbuch geschrieben hat: „ 3 Ws (B) 365/14 [betrifft ebenfalls Rechtsanwalt X]“.
Also nochmals: Keine, aber auch wirklich GAR KEINE !!! Vollmachtsurkunde zur Akte reichen, mit welchem Text auch immer! Sonst provoziert man geradezu Vollmachtsphantasien vorliegender Art.